Die Basler Art des Durcheinandersitzens

Als eines von wenigen Kantonsparlamenten richtet sich die Sitzordnung des Grossen Rates nicht primär nach Parteien, sondern – seit 1875 – nach Wahlkreisen. Versuche, dies zu ändern, sind mehrfach gescheitert.

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Genaue Sitzordnung auch an erster Sitzung mit Frauen 1968 © Staatsarchiv BS 

 

Die Basler Parlamentarierinnen und Parlamentarier erhalten ihre Plätze im Grossratssaal in dieser Abfolge: erstens Wahlkreis, zweitens Parteistärke, drittens persönliches Wahlergebnis. So sind derzeit die ersten 27 Sitze dem Wahlkreis Grossbasel-Ost zugewiesen, und der Sitzplatz Nr. 100 gehört stets Bettingen.

Den Vorrang des Wahlkreises kennen ansonsten nur die Kantonsparlamente der beiden Appenzell sowie von Ob- und Nidwalden. In allen anderen gilt eine mehr oder weniger strikte Links-Rechts-Platzierung nach Parteien beziehungsweise Fraktionen.

Basel-Stadt erhielt seine heutige Sitzordnung nach der grossen Verfassungsänderung von 1875. Zunächst bildeten die damaligen neun Stadtquartiere und drei Kommunen (inkl. Kleinhüningen) die Wahlkreise. Der Umzug in den neuen Saal 1904 ändert daran nichts. Seit 1914 gelten die heutigen fünf Wahlkreise: Sitzordnung.

Fraktionsdisziplin vs. parteiübergreifender Dialog

Vorstösse für eine Sitzordnung nach Fraktionen gibt es wiederholt, erstmals 1924. Bei heiterer Stimmung fragt sich der freisinnige Anzugsteller selbst, wo man eigentlich «die Herren Evangelischen, die doch über den Parteien schweben», unterbringen solle. Ein SP-Grossrat erklärt es für unbaslerisch, wenn Parteichefs alle ihre Leute in der Nähe haben möchten – eine Spitze gegen die damals starken Kommunisten als ausgeprägte Kaderpartei. Nur diese unterstützen den Vorstoss geeint und ärgern sich über den «Versöhnungsrummel» von Sozialdemokraten und Bürgerlichen.

Auch weitere Anläufe unterschiedlicher Parteiherkunft scheitern. So klagt der damalige SP-Fraktionspräsident 1992 erfolglos, dass die ungewöhnliche Regelung die Arbeit der Fraktionen erschwere. Sie mache die «Kommunikation, Koordination und Reaktion fast unmöglich, ohne den Ratsbetrieb zu stören». Der parteiübergreifende Dialog wird offensichtlich höher gewertet.

Bis 1875 wird zunftweise gesessen

Bis 1875 nahm der Basler Rat seinen Platz zunftweise ein. Die Vertreter von Schlüssel-, Hausgenossen-, Weinleuten- und Safranzunft sassen ganz vorne. Die 1803 in den Grossen Rat aufgenommenen Baselbieter mussten sich mit den hinteren Rängen begnügen. Nach der Kantonstrennung von 1833 sah es im Grunde gleich aus, zuerst die privilegierten Zünfte, danach die unfreiwilligen Hinterbänkler – nun aus den neuen, zunftfreien Wahlkollegien.

Abgeschafft: der ausgeloste Sitzplatz

Ihre stärkste Ausprägung hatte die «Basler Art» des «Durcheinandersitzens» unter dem Eindruck der revoltierenden Landschaft. 1831 verkündete der Kanton eine Regelung, welche die Bevorzugung der Städter beendete und die Sitzplätze alle zwei Jahre mittels Los neu zuwies. Auf die Spitze trieb es das Revolutionsparlament von 1798. Auch in der «National-Versammlung» wurden die Plätze ausgelost, und das sogar alle zwei Wochen. Koalitionen sollen sich gar nicht erst bilden können. Der mittels Losverfahren durchgeschüttelte Grossratssaal blieb jedoch eine Fussnote der Basler Parlamentsgeschichte.

 

«Schauplatz Parlament» vom 13. Oktober 2017

Text: André Salvisberg / Eva Gschwind, Parlamentsdienst Basel-Stadt

Quellen: Grossratsreglemente 1803ff.; Basler Nachrichten und National-Zeitung, 29.2.1924; GRP 12.2.1992; Johann Jakob Müller: Die Geschichte der Provisorischen National Versammlung allhier zu Basel 1798, 1997 (Hg. André Salvisberg).

Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 2-0564-0003-b